Harte Realität und schöne Erlebnisse

Petra Würth und Björn Arnter mit zwei jungen Patienten
Intensiv, berührend aber auch bestürzend, so empfanden die drei Volunteers Petra Würth, Björn Artner und Mike Sonnen-berg den diesjährigen Arbeits-einsatz in Kpalimé. Zusammen mit den erfahrenen Kollegen Marc und Tim Osswald sowie Regina und Markus Konrad versorgten sie eine Woche lang schwerhörige Menschen mit Hörgeräten. Ob sich ihre Er-wartungen bestätigten oder neue Einsichten hinzukamen, verraten die drei im Interview. 

Togo hört: Was hat Sie dazu bewogen Ihren Arbeitsalltag in Deutschland für eine Woche lang gegen die Arbeit im Hörzentrum einzutauschen? 
Mike Sonnenberg: "Zunächst einmal die Neugier. Wir kennen ja schon länger das Projekt aus Erzählungen und Berichten unserer Kollegen. Da ich noch nie in Afrika war, wollte ich die Arbeit und das Leben dort zumindest mal für eine Momentaufnahme kennenlernen. Grundsätzlich war aber bei uns allen der Wunsch zu helfen, wo die Hilfe am nötigsten gebraucht wird, maßgeblich." 

Togo hört: Wie empfanden Sie die Arbeitstage? 
Petra Würth: "Das Tempo in Togo verläuft schon deutlich ruhiger, als wir das von Deutschland her kennen. Nichtsdestotrotz begannen unsere Arbeitstage bereits schon um 8.00 Uhr, da wir täglich bis zu 20 oder 25 Patienten auf der Liste hatten. So dauerten unsere Arbeitstage bis etwa 19.00 Uhr. Insgesamt war immer sehr viel los. Die afrikanische Gemächlichkeit spürten wir in der Geduld der Patienten. Viele waren bereits einige Stunden unterwegs zu uns und warteten geduldig bis zu vier weitere Stunden. Und das, obwohl sie nicht wussten, wie die Untersuchung ausgehen wird. Dieser Langmut, trotz Hitze, war schon sehr beeindruckend. Gemächlichkeit verspürten wir natürlich auch im gesamten Ablauf. Es wird viel geredet, gelacht und zwischendrin immer wieder mal ein Päuschen gemacht." 

Togo hört: Was ist Ihnen als Hörakustiker aus Deutschland aufgefallen?
Björn Artner: "Die großen Erwartungen an uns weiße Mitarbeiter. Das hat man mit jeder Faser gespürt, dass die Menschen sehr viel Hoffnung in uns gelegt haben. Und es war teilweise auch unangenehm, dass uns mehr vertraut wird, als den togolesischen Kollegen. Auch muss man in Togo keinerlei „Überzeugungsarbeit“ leisten, wenn es um das Tragen eines Hörgeräts geht. Während zu Hause in Deutschland der Großteil der Menschen noch ästhetische Vorbehalte vor dem Tragen von Hörgeräten haben, ein echtes Luxusproblem, sind die Menschen in Togo einfach nur glücklich, wenn sie ein Hörgerät bekommen und dann auch noch besser hören." 

Togo hört: Haben Sie sich die Arbeit vor Ort so vorgestellt? Was war für Sie der eindrücklichste Moment? 
Petra Würth: "Wir hatten gar nicht so viele Vorstellungen. Eher ließen wir alles auf uns zu kommen und waren gespannt. Aber auch ohne große Vorstellung vorab muss ich zugeben, dass mich doch vieles überrascht hat. Die große Armut und das Chaos überall und gleichzeitig diese innere Zufriedenheit der Menschen. Das ist schon erstaunlich. Man lebt im Hier und Jetzt. Persönliche Sternmomente hatte ich bei der Arbeit mit den Kindern. Wenn sie zum ersten Mal oder seit langem die Stimmen ihrer Eltern hören konnten. Dieses Aufleuchten in ihren Augen. Das kann man nicht mit Worten beschreiben. Das geht direkt ins Herz und ist sehr berührend. Schlimm hingegen war, wenn wir den Kindern nicht helfen konnten. Wenn sie vollständig taub waren. Die Enttäuschung im Gesicht der Eltern sowie bei den Kindern selbst ist schwer auszuhalten, weil sie alle Hoffnung in uns gelegt haben." 

Björn Artner: "Daran war auch immer zu erkennen, wie wenig die Menschen in Togo über Hörgesundheit wissen. Manchmal hatte man fast das Gefühl, dass sie von uns magische Kräfte erwarten. Dass es pathologische Gründe für den Hörverlust gibt und dieser auch in 90 Prozent der Fälle vermieden werden könnte, ist vielen nicht bewusst. Da braucht es noch viel Aufklärung."

Mike Sonnenberg beim Fräsen von Ohrpassstücken
Togo hört: Das heißt, glückliche und harte Erlebnisse liegen hier sehr nah beieinander? Mike Sonnenberg: "Ja. Einerseits sieht man direkt, wie sehr hier unsere Hilfe benötigt wird und wie sie unmittelbar hilft. Das macht sehr glücklich. Anderer-seits holt einen die harte Realität sehr schnell ein. Die Schwere der Krankheitsbilder im Gehör hat mich schockiert. Wir haben Erkrankungen und Schäden gesehen, die gibt es bei uns gar nicht mehr. Es ist eine große Umstellung aus unserer heilen Welt heraus mit diesen Gegebenheiten umzu-gehen, denn viele der Gehörschäden und Krankheits-bilder könnten vermieden werden, wenn die medizinische Versorgung oder Information besser wäre und auch den mittellosen Menschen vorbehaltlos zur Verfügung stehen würde. Das ist eine beklemmende Vorstellung."

Togo hört: Wodurch waren Sie noch gefordert?
Kämpfte mit Sprachbarrieren während den Hörtests: Petra Würth
Petra Würth: "Nun, wie Mike schon gesagt hat, die Schicksale und den gesamten togolesischen Kosmos zu erleben, ohne das Ganze nach deutschen Grundsätzen zu bewerten. Das finde ich schwer. Die Grenze zu finden, wo ich als Angehöriger einer wirtschaftlich starken Gesellschaft nicht übergriffig werde und falsche Maßstäbe ansetze. Das Glück der Menschen in Togo ist nicht zu übersehen. Und das sollte letztlich der Maßstab für alles sein. Ich kann meine Welt nicht einfach drüberstülpen. Was mich sonst noch gefordert hat, waren die Sprachbarrieren. Je nach Sprachkenntnis der Patienten konnte das um drei bis vier Ecken gehen, bis das, was ich gesagt habe, so oft übersetzt war, bis es beim Patienten angekommen war und umgekehrt. Weil unsere Aufgabe auch viel Nähe braucht, war es für mich immer doppelt schön, wenn ich direkt mit Englisch auf die Leute zugehen konnte." 

Björn Arnter liegt die Hilfe zur Selbsthilfe am Herzen
Togo hört: Wie schätzen Sie die Tragweite des Projekts ein? 
Björn Artner: "Aus den Erzählungen unserer erfahrenen Kollegen und auch anhand des großen Andrangs haben wir gespürt, dass das Hörzentrum im Kpalimé eine wichtige wenn nicht sogar die einzige Anlaufstelle für eine fundierte hörakustische Versorgung ist. Selbst aus den Nachbarländern kamen Betroffene zu uns. Das Vertrauen ist sehr groß. Wir haben, so denke ich, einiges ins Rollen gebracht. Das erkennt man auch an den neuen Räumen für das Hörzentrum und die HNO-Station. Wir hoffen, dass noch mehr in Bewegung kommt, dass langfristig eine Zusammenarbeit mit Gehörlosenschulen erfolgt und noch mehr Aufklärung in die Bevölkerung hineingetragen wird. Mein persönlicher Wunsch ist, dass es langfristig geschultes Personal nicht nur in Kpalimé zu finden ist. Daher ist mir der nachhaltige Ansatz des Projekts so wichtig. Die Hilfe zur Selbsthilfe. Nur so, kann die hörakustische Versorgung langfristig in Togo Fuß fassen und flächendeckend wirken."

Mike Sonnenberg mit togoischen Kollegen
Togo hört: Wie sieht das konkret aus?
Petra Würth: "Es gibt zwei togolesische Mitarbeiter, die wir während unseren Aufenthalten schulen. Da ist handwerkliches Geschick ebenso gefragt wie medizinisches und akustisches Wissen. Uns ist auch die Dokumentation wichtig, dass Krankenakten geführt werden. Insgesamt eine strukturierte Organisation. All das zeigen wir den Kollegen und weisen sie ein. So sind sie zwischenzeitlich in der Lage, während unserer Abwesenheit das Hörzentrum eigenständig zu führen." 

Togo hört: Was ist Ihnen noch wichtig bei dem Projekt? Chance auf ein selbstbestimmtes Leben!
Mike Sonnenberg: "Dass wir einen Beitrag leisten, schwerhörige Menschen aus der Isolation zu befreien. Selbst in Deutschland gibt es noch viel zu tun, damit Schwerhörige oder Gehörlose in unseren Alltag besser integriert werden. Hier in Afrika ist das noch einmal eine ganz andere Situation. Hier stehen die Menschen mit Hörbehinderung wirklich am Rande der Gesellschaft. Sie sind abhängig und haben keine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Besonders bei Kindern ist das schlimm. Sie können meist nicht beschult werden und geraten so ins Abseits." 

Togo hört: Wie kann man von Deutschland aus helfen? 
Björn Arnter: "Entweder durch Hörgerätespenden oder finanzielle Unterstützung. Die Hörgeräte werden von uns geprüft und neu instandgesetzt. Dabei eigenen sich vor allen Dingen einfache und solide Systeme. Finanzielle Unterstützung kann man über den Verein der Togofreunde in Jockgrim leisten. Dort gibt es ein Spendenkonto auf dem man mit einem Beitrag von 40 EUR Hörgeräte finanzieren kann. Man muss lediglich das Stichwort „Hörgeräte“ angeben und der Betrag landet ohne Umschweife direkt im Hörzentrum Kpalimé."

Das iffland-Team von 2019
Togo hört: Werden Sie wieder nach Kpalimé reisen und helfen?
Petra Würth: "Ich denke, jeder von uns würde sehr gerne ein weiteres Mal nach Kpalimé reisen. Aber das hängt letztlich davon ab, wie wir in unseren Filialen abkömmlich sind und wer sich von unseren Kollegen sonst noch für einen Arbeitseinsatz interessiert. Offen sind wir aber in jedem Fall."  



Kommentare

Beliebte Posts