Zwischen Glück und Traurigkeit

Björn Artner und Kollege Maurice mit zwei zufriedenen Kunden
Auch heute beginnen wir wieder pünktlich um 9.00 Uhr mit der Arbeit im Hörzentrum. Auf der Liste stehen rund 20 Anwärter, unter denen etliche Kinder sind. Für das Hörscreening mit ihnen besorgen wir noch schnell in der benachbarten Boutique der Blindenschule ein paar Percussion Instrumente wie Rasseln, Trommeln oder Klanghölzer. Damit können wir besonders bei noch kleinen oder sehr zurückhaltenden Kindern leichter feststellen, in welchem Frequenzbereich ihr Hörverlust liegt. 

Zusammen mit unseren togoischen Kollegen führen wir die wartenden Kunden durch unsere Räume und versorgen sie mit einer Hörmessung,  Ohr-Abformung und Hörgeräteanpassung. Im Labor kümmern sich Markus Konrad und Mike Sonnenberg an der Fräse um die schnelle aber exakte Produktion der Ohrpassstücke. Wegen der Kürze der Zeit verwenden wir bei der Ohrabformung schnellhärtendes Material, das innerhalb weniger Minuten an der Fräse bearbeitet werden kann. 

Mike Sonnenberg beim Fräsen im neuen Labor
Petra Würth und Regina Konrad ermitteln am Audiometer das Hörvermögen der Patienten. Damit schaffen sie eine wichtige Grundlage für die Hörgeräte. Bei diesem Arbeitsschritt kommen dann auch die Rasseln und Klangstäbe zum Einsatz, wenn die Verständigung schwierig oder der Hörverlust so fortgeschritten ist, dass zur weiteren Bestimmung zunächst einzelne Frequenzbereiche abgerufen werden müssen. Sobald die Ohrpassstücke aus dem Labor kommen und gut im Ohr sitzen, passen Mike Sonnenberg und Tim Osswald die Hörgeräte individuell an und programmieren sie am Computer. Da wir mit unseren Stationen nun auf drei Räume verteilt sind, haben wir im gesamten Hörakustikprozess mehr Luft und kommen so nicht nur konzentrierter voran, sondern haben auch mehr Ruhe für die Aus- und Weiterbildung unserer togoischen Kollegen. Sie erhalten meist Training on the Job und werden dabei in Krankheitslehre, Anatomie, Fräsarbeit und Hörgerätekunde geschult. 

Heute waren wir mit etlichen pathologischen Befunden konfrontiert, die wir in dieser Form und in diesem Ausmaß in Deutschland kaum sehen: Schäden durch Fisteln wie etwa ein Loch in der Ohrmuschel oder Pilz-befallene Gehörgänge sowie fortgeschrittene Trommelfellerkrankungen. In diesen Fällen ist die Behandlung nicht ganz so einfach durchzuführen wie bei  Schwerhörigkeiten, die auf unbehandelte Mittelohrentzündungen oder falsche und fehlende Medikation bei Malaria-Erkrankungen zurückgehen. Dabei entstehen Schäden im Mittelohrbereich, was zu einer Schallleitungsstörung in der Gehörknöchelchenkette führt und mit Hörgeräten verhältnismäßig leicht zu behandeln ist. 

Unser Arbeitstag endet heute um 19.00 Uhr. Nach einer kurzen Stippvisite im Hotel lassen wir ihn mit einem Abendessen beim Direktor des Krankenhauses, Dr. Fiawoo Mawouto,  ausklingen. Wir tauschen uns über die Situation des Krankenhauses aus, erfahren von den vielen Engpässen, mit denen das Klinikpersonal weiterhin zu kämpfen hat. So fehlen an vielen Stellen intakte Behandlungs- und Untersuchungsinstrumente oder funktionstüchtiges Mobiliar für die Unterbringung der Patienten. Die Versorgung vor Ort wird von Familienangehörigen übernommen. Sie besorgen auch die notwendigen Medikamente und Ausrüstungsmaterialien wie Spritzen, Nadeln, Verbände in der Apotheke des Krankenhauses. Hierfür stellt ihnen der behandelnde Arzt nach der ersten Diagnose ein Rezept aus. Erst wenn das Material und die Medikamente besorgt sind, wird die Behandlung fortgesetzt. Für viele ist das Einlösen des Rezepts eine kostspielige Angelegenheit, da sie alles aus eigener Tasche bezahlen müssen. Die hohen Kosten sind auch der Grund, warum die meisten Familien das Krankenhaus erst sehr spät aufsuchen, quasi erst wenn es nicht mehr anders geht und der Krankheitszustand sehr weit vorangeschritten ist. Eine Heilung ist dabei in vielen Fällen sehr langwierig und teuer oder nicht mehr möglich. Daher bleiben viele Ohrkrankheiten auch unbehandelt und der Betroffene  bleiben und es zu massiven Schäden im Gehör kommt. 

Wieder sehr betroffen und emotional irgendwo zwischen Traurigkeit und Glück gehen wir zum Hotel zurück und zügig ins Bett. Viele Eindrücke und Bilder vom Tag nehmen wir mit in die Nacht hinein, sind bewegt von den einzelnen Schicksalen und gleichzeitig sehr froh, weil wir mit jedem Hörgerät die Lebenssituation der betreffenden Person maßgeblich verbessern können.

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